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Lei(d)tbilder

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Leitbilder sind ein modernes Instrument der Organisationsentwicklung. Sie schaffen einen verbindlichen Orientierungsrahmen und richten mit ihrem „Wir-Gefühl“ das Denken und Handeln der Mitarbeiter auf eine optimale gemeinsame Aufgabenerfüllung aus. Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt und steigern dadurch seine Berufszufriedenheit.

 

 
Wenn es mir gelungen ist, das Leitbild meiner Organisation vollends zu verinne­rlichen, werde auch ich endlich zum Kreis der förderungs­würdigen Beamten gehören. Leitbilder dienen der Ver­bes­serung der Unternehmens­kultur und entsprechen voll dem Zeitgeist. Gedruckt auf Hochglanz­papier und in einem handlichen Format, sind sie für mich mit ihren kurzen und prägnanten Sätzen zur­ idealen Bettlektüre geworden. Mehr noch, sie stimulieren geradezu einen ruhigen Schlaf und lassen mich am nächsten Tag erfrischt und hoch motiviert meine Arbeit beginnen.

Mit programmatischen Aussagen wie z.B. „Offenheit, Ehrlichkeit und gegenseitige Akzeptanz prägen unser Miteinander“­ oder „Wir fördern Eigen­verantwortung auf allen Ebenen durch kooperative Führung“­ ist es geradezu unmög­lich, sich nicht mit seiner Organisation zu identifizieren und sich diesem suggestiven „Wir-Gefühl“ zu entziehen. Jeden Tag beende ich mein Nachtgebet mit dem Wunsch, voll im leitbildlichen Orientierungsrahmen meiner Behörde aufzugehen. Denn: „Engagement und Leistung verdienen Anerkennung und berufliche Förderung“.


In einer Zeit, in der das Wertebewusstsein zunehmend auf Talfahrt zu gehen scheint, kommt die Leitbildideologie gerade recht. Sie ist ein unüber­sehbares Zeichen der Innovationsfähigkeit der öffentlichen Ver­wal­tung. Auch eine unserer Regierungen hat uns das “Leitbild des aktivierenden Staates“­ gegeben, der Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert beschreibt.

Ich bin sicher, dass sich der Leitbild­gedanke durch­setzen wird, allen Altvor­deren zum Trotz. Ein solcher ist mein Kollege Klaus-Peter zwar nicht, er wird aber nicht müde, das Leitbild unserer Organisation zu verun­glimpfen. So hat er es z.B. neulich auf eine Ebene mit dem Tugendkodex der Pfadfinder gestellt oder sogar Zusammenhänge mit den kollek­tiven Zwangs­verpflichtungen sozi­alis­­ti­scher Herkunft gesehen. An solchen Tagen spricht er dann nur noch von „Leibild “.

Ich gebe zu, dass in meiner Behörde noch nicht alles zum Besten bestellt ist. Noch nicht! Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Dass Leitbilder zu Zeiten leerer Kassen eingeführt werden, ist purer Zufall. Auch hat es nichts damit zu tun, die Motivationslage der Mitarbeiter zu verbessern, weil Stellen abgebaut und Haushaltsmittel gekürzt werden. Aber ich bin zuversichtlich,  dass in der Organi­sation, der ich angehöre, eines Tages die Schere zwischen den Leitbildpostulaten und der Organisations­wirklich­keit geschlossen wird.

Mein Kollege nennt es gebetsmühlenartig „Glaub­würdig­keitslücke“. Eine fixe Idee von ihm.