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Odyssee eines Notebooks

Computer

 Odyssee eines Notebooks

 

Dass Werbung das “Blaue vom Himmel” verspricht, ist eine Binsenweisheit. Insofern schafft man sich teure Produkte – wie z. B. ein Notebook – erst nach kritischen Vergleichen an. In diese sollten auch die Gewährleistungsbedingungen einbezogen werden.

 
„Mit unseren Support- und Serviceleistungen der Spitzenklasse ist ein ruhiger Schlaf im Lieferumfang von HP- und Compaq-Produkten inbegriffen. Keine Sorgen. Keine Probleme. Wir kümmern uns – für die gesamte Lebensdauer aller Produkte – um die Technologie, damit Sie sich um Ihr Geschäft kümmern können.“

Hört sich gut an – nicht wahr? Ein Werbeversprechen in einer mir ins Haus geflatterten Broschüre über „Eine der besten Service- und Supportleistungen“ dieses Herstellers.

Solchem hatte ich ebenfalls vertraut, als ich eines Tages ein Compaq-Notebook 701 EA erstehen konnte.

Nachdem ich alle Programme in meine neue Errungenschaft eingebunden hatte und meine schon etwas älteren Peripheriegeräte angeschlossen waren, konnte ich loslegen und mich an der Leistungsfähigkeit meines neuen Computers berauschen. Meine Befürchtungen, dass die gegenüber meinem betagten Acer-Note­book vergleichsweise starke Wärmeentwicklung des neuen 701 EA nicht normal und für seine Komponenten nicht gut sei, zerstreute mein Händler auf Nachfrage selbstbewusst. Es hatte also nichts zu bedeuten, wenn ich mir an der Unterseite des geöffneten DVD-Laufwerkes fast die Finger verbrannte. Ich beschloss, diesen Umstand zu ignorieren und fortan nicht mehr hinzu­fassen.

Nach einigen Wochen streikte plötzlich das DVD-Laufwerk meines neuen Notebooks. Ich nannte es inzwischen Hotty, weil es nach wie vor heiß wurde. Hotty weigerte sich, Daten von einer CD-ROM zu lesen und forderte mich penetrant auf, einen Datenträger in das Laufwerk D: einzulegen. Solches war aber bereits mehrmals geschehen.

Von nun an betätigte ich mich häufig als Diskjockey, um solchen Befehlen nachzukommen. Mir fiel auf, dass Hotty von diesem Laufwerk anstandslos Daten lesen konnte, wenn seine Betriebstemperatur nicht so hoch war. Etwa eine Stunde nach dem Einschalten änderte Hotty aber regelmäßig sein Verhalten und begann wie im Fieberwahn mit seinem ätzenden Dialog. Weil Hotty mich mehr und mehr nervte, beschloss ich, mich an den bereits erwähnten Support „der Spitzenklasse“ seines Erzeugers zu wenden.

„Pick-Up-Service“ nennt man es, wenn das gut verpackte Notebook von einem Paketservice zu Hause abgeholt und dem Compaq-Reparatur­dienst zugeführt wird. Zuvor hatte ich Hottys Mängel penibel aufgelistet. Nach neun Tagen konnte ich Hotty wieder auspacken. Wie gehabt machte es nach etwa einstündiger Betriebszeit seinem Namen alle Ehre und weigerte sich hartnäckig, meine Backup-Dateien von der betreffenden CD-ROM zu lesen. Meine ursprüngliche Freude, nun wieder richtig schnell arbeiten zu können, war verflogen.

Der Mitarbeiter der Compaq-Hotline war zunächst ratlos. Anhand der Ersatzteilnummer konnte er aber erkennen, dass man nicht das DVD-Laufwerk, sondern den Bildschirm (!) ausgewechselt hatte. Konnte und durfte einem fachmännischen Reparaturdienst so etwas passieren?

Ich war etwas besänftigt, als man mir mitteilte, man würde das Notebook unverzüglich wieder „up-picken“. Dies geschah jedoch nicht wie zugesagt, sondern erst einige Tage später und nur, weil ich Compaq über die Hotline unverblümt meine Meinung gesagt hatte.

Diesmal dauerte es nur eine Woche, bis ich Hotty wieder in Empfang und in Betrieb nehmen konnte. Was ich dunkel geahnt hatte, war eingetreten: Hotty hatte sich wieder nicht von seinem DVD-Laufwerk getrennt. Nunmehr war - wie mir der an dieser Misere unschuldige Hotline-Mitarbeiter mit höchstem Bedauern und vermutlich traurigem Augenaufschlag eröffnete - das innerste Innenleben meines Notebooks restauriert worden. Bei Hotty hatte man diesmal das Mainboard (!) ausgetauscht; sozusagen ein weiterer chirurgischer Kunstfehler „professioneller“­ Com­paq-Operateure.

Ich tat nun das, was ich schon längst hätte tun sollen. Ich brachte das Notebook zu meinem Händler und weidete mich schadenfroh an den verzweifelten Bemühungen seines Mitarbeiters, Hotty zu bewegen, eine Video-CD ruckelfrei abzuspielen und meine Daten-CD zu lesen. Da dies nicht gelang, wurde das 701 EA zum dritten Mal mit seiner Krankengeschichte auf den Weg gebracht. Die Gewährleistungsbedingungen würden dies verlangen, erläuterte mein Händler. Die Odyssee war also noch nicht zu Ende.

Eine Woche später wurde Hotty in seinem inzwischen stark ramponierten Karton wieder angeliefert. Ich konnte es zunächst nicht glauben, aber es hatte tatsächlich ein neues DVD-Laufwerk, welches anfangs sogar funktionierte. Weil Hotty nach etwa einstündiger Betriebszeit wieder sein Fieber entwickelte und ich mich keines­falls länger mit diesem relativ neuen, aber inzwischen runderneuerten Notebook abfinden wollte, kontaktierte der Mitarbeiter meines Händlers einen angeblichen Entscheidungsträger der Firma Compaq (Herrn E.)  mit dessen Zusage, das Zitronenprodukt gegen ein neues Notebook zu tauschen. Zuvor hatte man überlegt, Hotty mit einem vierten operativen Eingriff einen leistungs­stärke­ren Lüfter zu verpassen, womit ich aber nicht einverstanden war.

Da sich nach einer Woche des Wartens auf den Paketabholservice noch immer nichts getan hatte, fragte ich meinen Händler nach dem Sachstand, und der wiederum die Firma Compaq: Das Austauschgerät sei auf dem Weg. Nach weiteren fünf Tagen: Es müsste längst auf dem Weg sein. Anruf bei der Compaq-Hotline: Ich möge mich an das (bislang nicht erreichbare) Beschwerdemanagement wenden. Offensichtlich drehte sich jetzt alles im Kreis. Ich schilderte meinen Problemfall in einer dringenden E-Mail und bat um Äußerung – vergebens.

Hatten bei diesem Hersteller schon die Computer die Oberhand, und waren sie von einem Virus befallen?

Frustriert führte ich eine Reihe von Telefonaten, beginnend mit der Compaq-Niederlassung in Köln, deren Telefonnummer ich aus dem Internet erfahren hatte. Man fühlte sich aber nicht zuständig und reichte mich mit einer anderen Nummer an einen „Support“ weiter. Der betreffende Mitarbeiter bayerischer Mundart war sehr freundlich, aber nur für „A-Server“ kompetent. Ich wurde zur süddeut­schen Hauptniederlassung der Firma Compaq („jetzt Partner von HP“ – wie man am Telefon erfährt) weitergereicht. Dieser Ansprechpartner war ebenfalls nicht zuständig, gab aber die mir hinreichend geläufige Nummer des Beschwerdemanagements bekannt.

Ich fing an, unüberhörbar zu schluchzen, was ihn offensichtlich erbarmte. Er vermittelte mich schließlich an einen weiteren Gesprächspartner, der sich meines Problems aber auch nicht annehmen wollte.

Dann – welch ein Wunder – hatte ich nach mehreren Musikstücken (solche hört man, damit man sich während der Wartezeit beruhigt ) endlich einen annähernd entscheidungsfreudigen Mitarbeiter in der Leitung: Herrn S. Er endlich durfte sich mit mir in der Sache ausein­andersetzen. Das Beschwerdemanagement von Compaq war also doch nicht nur imaginär vorhanden. Herr S. befragte seinen Computer, der zwar viele Einträge bezüglich meines Falles, aber keinerlei Informationen darüber enthielt, dass der bereits erwähnte Herr E. einen Geräteaustausch zugesagt hatte. Mein Gesprächspartner bat um Geduld, weil er den Fall erst prüfen müsse. Beiläufig bemerkte er, dass ich froh sein sollte, dass sich nunmehr überhaupt etwas täte.

Am Nachmittag dann der erlösende Anruf von Herrn S. Hotty würde in zwei Tagen (zwischen 10 und 17 Uhr) bei mir zu Hause abgeholt werden, und wenige Tage später würde ich ein neues Notebook bekommen. Meine Frau stellte sich unverzüglich darauf ein, wieder das Haus zu hüten und sagte ihrem Friseur ab.

Es kam, wie es kommen musste: Der vereinbarte Termin verstrich, ebenfalls der nächste Tag, ohne dass die Firma Compaq ihr Spitzenprodukt heimgeholt hätte. Wieder folgte Telefonat auf Telefonat: Mein Händler hatte sich weiterhin um eine Problemlösung durch seinen entscheidungsbefugten Ansprechpartner, Herrn E., bemüht. Der Dame in der Vermittlung beim Compaq-Hauptsitz war ein Herr S. nicht bekannt. Herr E. sei jetzt bei HP und deshalb nicht mehr für Hotty zuständig. Darüber hinaus sei er derzeit telefonisch ohnehin nicht erreichbar. Ich durfte aber eine Nachricht auf seinen Anrufbeantworter sprechen (ohne Wirkung, denn Herr E. rief nicht zurück). Neben Frust stiegen nun auch Ohnmacht und Verzweiflung in mir hoch. Am liebsten hätte ich dem ramponierten Karton, in dem Hotty seit Tagen unschuldig und gut gepolstert ruhte, einen kräftigen Tritt versetzt.

Wie zum Hohn erhielt ich zwischen meinen Aktivitäten im Abstand von jeweils einigen Tagen per E-Mail drei Anfragen (!!!) der „Compaq-Customer-Services“, ob ich mich noch an den mich betreffenden Reparaturfall Nr. 505…. erinnern könne. Ich sollte mich über meine Zufriedenheit mit dem Compaq-Kunden­service äußern. Dies tat ich dann auch sehr ausführlich mit dem Fazit: Nie wieder einen Compaq-Computer! Auf meine mehrfachen Schilderungen desselben Falles bekam ich  aber - wen wundert es noch - keine Antwort.

Dann schließlich ein Anruf meines Händlers: Herr E. (jener inzwischen zu HP gewechselte) habe sich gemeldet und angekündigt, dass Hotty nicht durch ein neues Notebook ersetzt werden könne. Diese Serie gäbe es nicht mehr. Sollte ich etwa eine runderneuerte Zitrone wie Hotty erhalten?

Um diese Realsatire vorübergehend zu beenden: Mein Händler erinnerte sich, dass unternehmerisches Qualitätsmanagement hauptsächlich etwas mit Kundenzufriedenheit zu tun hat und bot mir eine unbürokratische Lösung seiner Firma an: Am nächsten Tag gab ich Hotty dort ab und nahm ein fabrikneues Visionary-Notebook der Marke  Targa in Empfang, mit dem ich mich inzwischen gut angefreundet habe.

Wenige Tage später erfuhr ich, dass Hotty in sein Mutterhaus zurückgekehrt war – zum Dauertest. Damit war seine Odyssee endlich zu Ende – oder? Vielleicht darf es im Rahmen des spitzenmäßigen Compaq-Kundendienstes bald als absolut und bis ins letzte Atom runderneuertes Notebook andere Compaq-Kunden in gleicher Weise erfreuen.

Etwa zehn Tage nach dem (vermeintlichen) Abschluss der Angelegenheit fand ich in meinem E-Mail-Postfach wieder einen Eingang der „Compaq-Customer-Services“ vor. Ich wurde zum vierten Mal über meine Zufriedenheit im Kundendienstfall Nr. 505…. befragt.

Irgendetwas schien sich bei Compaq-HP verselbst­ändigt zu haben. Ich leitete die E-Mail sogleich an Hotty weiter, das sich als Hauptbetroffener persönlich äußern sollte.

Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf eines Compaq-Mitarbeiters (man „kümmerte“ sich): Er habe leider den zugesagten Umtausch-Abholtermin (den vor zwei Wochen) verpasst und wollte nun wissen, wann er Hotty bei mir in Empfang nehmen könne!?! 

War Hottys Fieberwahn ansteckend und womöglich das gesamte Unternehmen inzwischen infiziert? Solches musste man annehmen, denn einige Wochen danach erhielt ich wieder einen Anruf besagter Firma (die sich erneut „kümmerte“). Diesmal aus dem Compaq-Care-Center. Der Mitarbeiter gab mir bekannt, dass man mir inzwischen ein Compaq-Ersatzgerät zur Verfügung gestellt habe und wollte wissen, ob  …

Ich wurde von einem lang anhaltenden, heftigen Lach-/ Weinkrampf geschüttelt und konnte auf die besorgten Fragen meiner Frau nicht einmal ansatzweise antworten.

Monate später, als ich mich dank der Zuverlässigkeit meines neuen Targa-Note­books längst wieder beruhigt hatte, fiel mir eine Ver­öffen­t­lichung der Stiftung Warentest über den Kundendienst von Notebook­herstellern in die Hände. Wahrschein­­lich hatte Hotty dem betreffenden Tester seine Odyssee geschildert. Seinem Mutterhaus Compaq wurde nämlich ein vernichtendes Urteil zuteil: „Große Mängel in fast allen Punkten: Arbeitet sehr langsam, kostet sehr viel. Kunde spielt gar keine Rolle1 …“ 

Jedenfalls war ich mit meinen leidvollen Erfahrungen mit dem Compaq-Kunden­service auf unserem Planeten nicht allein. Eine beruhigende Erkenntnis.

Wie las ich doch einst in einer Werbebroschüre besagter Firma: „Mit unseren Support- und Serviceleistungen der Spitzenklasse ist ein ruhiger Schlaf … inbegriffen. Keine Sorgen. Keine Probleme. Wir kümmern uns …“ 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1 Heft 04/2003 – und ach ja, mangelhafte Kundenorientierung wurde schon in Heft 04/2002 attestiert