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Die Verwandlung

Die Verwandlung

 

„Das Mitarbeitergespräch ist nicht nur ein Führungsinstrument für Manager, sondern auch die Paradesituation für so genanntes Leadership Mobbing ... Erfolg versprechend sind vor allem die Zermürbung des Selbstbewusstseins und die Disqualifizierung des Betroffenen …“

            (Aus Alexander Vier: Ich mobbe gern)

 

Mein Kollege Klaus-Peter hat es nicht leicht. Er wird tatsächlich gemobbt (oder gar gebosst?). Was ihm so alles angedi­chtet wird, pfeifen in unserer Organisation schon die berühmten Spatzen von den Dächern. Die zahl­reichen Gerüchte ver­wir­ren mich. Sie erinnern mich an einen Zeitschriftenartikel, den ich neulich gele­sen habe. Er handelt von Mobbing im Hühner­stall. Einer wissen­schaftlichen Er­kennt­nis zufolge werden Hühnern mit dunklen Federn diese im Stall häufiger ausgerissen als ihren weißen Artgenossen. Die Forscher sehen hierin ein ernsthaftes Problem, das bis zum Kannibalismus führen kann. Zwar kann Klaus-Peter nicht mit einem dunkel gefiederten Huhn ver­glichen werden, in der Hackordnung unserer Behörde führt er aber ein ent­sprechendes Dasein, wahrs­cheinlich durch Neid und Eifersucht verur­sacht. Seine Vorgesetzten schei­nen ein Problem damit zu haben, dass ihnen dieser Mit­arbeiter möglicherweise intellek­tuell über­legen ist. Die Verleum­dungen und Ent­wertun­gen seiner Person beschäf­ti­­gen mich neuerdings sogar im Schlaf. Meiner Frau zufolge soll ich sie heute Nacht wie von Sinnen geweckt haben, weil ich die Farbe meiner Federn wissen wollte.

Da ich mich nur vage an meinen Traum erinnere, bringe ich jetzt vielleicht einiges durcheinander. Ich war an Klaus-Peters Stelle und hatte eines der ­­­obligatorischen „Personalführungs­gesprä­che“ zu ab­sol­vieren. Bei einer solchen, vom Dienst­herrn in den Beurteilungsrichtlinien vorge­schrie­benen Kom­muni­kation sollen dem betroff­enen Mitarbeiter mindes­tens einmal jähr­lich Stärken und Schwächen seiner Leis­tungen auf­gezeigt, also Lob und Tadel aus­gesprochen werden. Die Fürsorge­pflicht des Dienst­herrn gebiete es nämlich, den Beamten rechtzeitig auf abfallende Leistungen hinzuweisen, um ihm die Möglichkeit der Verbesserung zu geben. Dieser Grundsatz gilt aber nicht generell. Bei den sog. „durchschnittlichen“­ Mitar­beitern sind derlei Ver­fahrensweisen verzichtbar. Dieser Personenkreis ist sozusagen „ohne Lob und Tadel“, wie selbst aus ministeriellen Kreisen zu ver­nehmen ist.

 

Vor diesem Hintergrund saß ich in den Federn von Klaus-Peter vor dem unmit­telbaren Vorgesetzten. Dieser thronte, dem bedeutungsvollen Anlass angemes­sen, gravitätisch hinter seinem Schreib­tisch und hatte vor sich demonstrativ das sog. „Kooperative Führungssystem“, auch „KFS“­ genannt, aufgebaut.

Mein Traum ist leider viel zu kurz gewesen, um das per Dekret erlassene Instrument behördlicher Personalführung näher erläutert zu bekommen. Der bloße Anblick dieses Kunstgebildes brachte mein Selbstwertgefühl aber sofort auf einen Tiefpunkt.

 

„Da Sie mit Ihrem dirigistischen Führungs­stil und Ihrer mangelnden sozialen Kompe­tenz nicht erwar­ten lassen, Ihre Leistungen zu verbessern, ist dieses Per­sonal­führungsgespräch eigentlich über­flüssig“, leitete mein Vorgesetzter mit ko­opera­­tivem Lächeln die Kommunikation ein.

„Wieso habe ich ...“

„Widersprechen Sie nicht! Man sieht es Ihnen doch schon von weitem an, dass Sie in wesentlichen Bereichen die erforderliche Kompetenz vermissen lassen“, unterbrach mich mein Gegenüber und fügte hinzu, dass er sich auf seine Menschenkenntnis ver­lassen könne.

„Aber ...“

"Außerdem sind Sie auch im Ministerium als ständiger Nörgler bekannt, dem jegliche Fähigkeit zur Teamarbeit fehlt. Darüber hat sich Ihr Studienkollege ..." Abrupt unterbrach das Klingeln des Telefons den Redeschwall. Ich überlegte, welcher Studienkollege gemeint sein konnte, der sich dergestalt als Kameradenschwein entpuppte.

 

"Wo war ich stehen geblieben?", unterbrach mein Vorgesetzter meine Gedanken. "Ach ja, demnach ist bei Besprechungen niemand so negativ und wenig kooperativ aufgefallen wie Sie."

"Aber ..."

„Menschen mit so grünen Federn, wie Sie sie haben, sind nun einmal so. Sie sind auch nicht zu ändern. Es ist ihnen angeboren, also genetisch bedingt“, fügte er mit systemkonformer kooperativer Freund­­­lichkeit hinzu.

„Aber ich habe doch rote ...“

 „Ich weiß, was ich sage“, fiel mir der Chef erneut ins Wort. „Sie wollen wieder alles besser wissen. Schauen Sie doch in den Spiegel.“

 „… Darf ich ... darf ich Sie etwas fragen?“

„Nur zu, deshalb führen wir dieses offene und vertrauensvolle Ge­spräch. Sie wissen ja, mit mir können Sie über alles reden.“

 „Sind Sie ... vielleicht ... farbenblind?“

 „Wieso? … Aber was hat das mit Ihrem Verhalten zu tun?“

 

Nach diesem Gespräch beschloss ich, meinem Chef kooperativ entgegen zu kommen und ihm zu helfen, seine gestörte Wahrnehmung aus­zugleichen: Ich färbte meine Federn grün. Am nächsten Morgen traf ich ihn auf dem Flur in unserem Dienstgebäude.

 

„Hallo“, begrüßte er mich fast freund­schaftlich. „Sie sind ja wie verwandelt mit Ihren roten Federn. Was so ein Personal­führungsgespräch nicht alles bewir­ken kann.“ Er drückte mir lange die Hand und blickte jovial in die Runde meiner über­wiegend grün gestylten Kolleginnen und Kollegen, die sich in­zwischen vor seinem Dienst­zimmer zu ihrer mor­gend­lichen Hymne versam­melt hatten. Plötzlich fühlte auch ich mich von unserem Chef ver­standen, ja geachtet. Dankbar drückte und leckte ich die mir gereichte Hand.

Ich werde meine traumatischen Erfahrun­gen an Klaus-Peter weiter­leiten. Er sollte bei dem betreffenden Kameraden anfragen, ob dieser ihn tatsächlich "in die Pfanne gehauen hat". Außerdem müsste er sich dazu durchringen, die Kom­munikation mit seinen Vorge­setzten künf­tig ange­nehmer zu gestalten. Bei­spiels­­weise mit Zu­ge­ständ­nissen, klei­nen Aufmerk­sam­keiten und mit regel­mäßi­gen Grü­ßen an die werte Gattin.

 

 

PS:

Wie ich inzwischen erfahren habe, hat mein Kollege auf sein Schreiben auch nach über zehn Jahren keine Antwort erhalten. Wahrscheinlich hatte ich doch alles nur geträumt. Sonst wäre Klaus-Peter nicht so häufig in Arbeitsgruppen oder andere Gremien berufen worden und hätte solche schon gar nicht leiten dürfen.