Satirische Sammlung
Notizen aus Absurdistan
Home
Zwitschern im InternetAbwrackprämieBabylonischer GigantismusModischGratisverlosungNordic Walking"Feeling pur"Moderner AmtsschimmelOdyssee eines NotebooksLei(d)tbilderMobbing und BossingDie VerwandlungSchein und SeinSicher ist sicher
Modisch

Modisch

Gestreift und kariert

 

 

Jeder Tag beginnt mit einer Qual der Wahl: Was ziehe ich an, und mit welcher Krawatte schmücke ich mich heute? In Wahlkampfzeiten beispielsweise ist es nicht allein eine Frage des Geschmacks, sondern eine von Sein oder Nichtsein. Denn am Outfit erkennen wir die Kompetenz seines Trägers.

 

Bei der Lektüre eines älteren Zeitungsartikels über die Wahlkampf-Fern­sehauftritte des damaligen Bundeskanzlers und seines bajuwarischen Herausforderers fiel es mir wie Schuppen von den Augen: „Ich bin ein Krawattenmuffel!“ Meine Frau bestätigte meinen selbstkritischen Ausruf, nachdem ich zur Kenntnis genommen hatte, dass der Kanzler stets eine Krawattenlänge vor seinem Konkurrenten gelegen habe. Gestreifte Krawatten seien dabei besonders karrierefördernd und sozusagen der Nabel der Welt, las ich.

Geahnt hatte ich das schon vor Jahren, als "Mr. Tagesthemen" aus seiner pittoresken Krawattenkollektion allabendlich einen ge­streiften Binder vorzuführen begann.  „Wer up to date sein will, trägt zeitgeistkonform ein Streifenmuster“, musste ich von meiner Frau hören. Die Farbkombinationen bei Krawatten scheinen dabei unerschöpflich zu sein. Klar, dass man in Wahlkampfzeiten diesen Trend verstärkt nutzen kann.

Der schon erwähnte Kanzler und sein Gegenkandidat trugen bei besagtem Fernsehduell als Zeichen ihrer Kompetenz und Orientierung zur politischen Mitte die gleichen Krawatten: Rot mit weißen, von rechts oben nach links unten laufenden Streifen, allerdings mit verschiedenen Knoten. Man brauchte gar nicht hinzuhören, was die beiden Kontrahenten von sich gaben. Die politischen Unterschiede waren wegen der buchstäblich programmatischen Knotenbindungen nicht zu übersehen. Während der Kanzler einen modern gebundenen Einfachknoten bevorzugte, hatte sich der Herausforderer mit dem eher konservativen,  aber doppelt geschlungenen und damit kraftvollen Windsorknoten in Szene gesetzt.

Wer also trendy ist und ankommen will, nutzt die Möglichkeiten nonverbaler Kom­mu­nikation zunächst über seinen Schlips. Auch der ehemalige Kanzlerkandidat einer kleinen Oppositionspartei trug lange Zeit selbstbewusst und vorbildlich gelb-blau-gestreift. Allerdings keine 18 cm breit (würde sonst wie ein infantiles Lätzchen aussehen), sondern eher dem Politbarometer angepasst.

Vorübergehend war dann eine neue Richtung erkennbar. Sie verwirrte mich, weil ich nunmehr zehn gestreifte Krawatten hatte, die ich regelmäßig tragen wollte. Mr. Tagesthemen tendierte nämlich zu Karos. Auch ein einstiger Übergangs-Fraktions­vor­sitzender war noch in Wahlkampfzeiten mit einem gelb-schwarz-karier­ten Binder zum obligatorischen roten Pullunder zu sehen. War dies schon als nonverbales Koalitionsangebot zu werten oder purer Zufall? Was hatte eigentlich Joschka seinerzeit in seinem gleichnamigen Bus umgebunden? Vielleicht rot-grün-gestreift oder bereits rot-grün-kariertes Schotten­muster als Ausdruck des Sparwillens der damaligen Bundesregierung.

Jedenfalls standen die Zeichen der Zeit kurzfristig unübersehbar auf kariert. Groß- und kleinkariert. Eine weitere beachtliche Möglichkeit für nonverbales Outing im Politik-Showbusiness.

Inzwischen sind aber Streifen wieder dominant. Nicht nur bei Krawatten. Der Herr und die Dame von Welt tragen gestreifte Anzüge bzw. Kostüme, mit auffälligen Längsstreifen. Es ist schließlich eine Binsenweisheit, dass dieses Muster schlanker macht. Vorreiter ist diesmal nicht "Mr. Tagesthemen", sondern ein Nachrichtensprecher gewesen, der mich schon häufiger in futuristischem Outfit und mit neuer Frisur begeistert hat. Wird das eigentlich gesponsert? Inzwischen wimmelt es auf deutschen Fernsehschirmen nur so von prominenten Streifenträgern, die zur Nach­ahmung ermuntern.

Gestreift sei auch in närrischen Zeiten in, wie ich aus einem Jubel-Jubiläums-Prospekt eines bekannten Kaufhauses zum Karneval erfuhr. Streifige Herrenanzüge, Modell „Gangster“, wurden sehr preiswert angeboten. Nach kurzer Beratung mit meiner Frau hatte ich mich entschlossen, für etwa 20 € einen Trageversuch zu wagen und mir ein solches Al-Capone-Kostüm in Größe 56 zuzulegen. Damit war ich auf dem besten Weg, mindestens eine Konfektionsgröße vorteilhafter zu wirken. Allerdings wirft das Streifenmuster die Frage auf, ob der Gangsterlook auf einen entsprechenden Charakter seines Trägers schließen lässt. Als nonverbale politische Äußerung wäre ein gestreiftes Outfit dann aber eine Katastrophe, vergleichbar mit gegenleistungsfreien Nebeneinkünften von Parlamentariern.

Joschka hatte sich ebenfalls daran erinnert, dass Streifen verschlanken können. Er wirkte zeitweise weniger bildschirmfüllend. Auch die Kanzlerin war einmal sehr telegen in weißen Nadelstreifen auf schwarzem Grund zu bewundern. Ebenso Beckmann, als er in der gleichnamigen Sendung in nicht mehr zu überbietendem Längsstreifenoutfit mit jener Dame über ihre charakterlichen Eigenschaften parlierte.

Ich bin mir sicher, dass das Streifen­dessin auch als Symbol für die „Verschlankung des Staates“­­ herhalten könnte. Dann vielleicht in Kom­bi­nation mit einem schmalen blau-gelb-gestreiften Schlips bzw. einem mit Schotten­muster. Es wäre eine gute Mög­lichkeit für die Regierung, ihren Willen zum Schuldenabbau schon von Weitem sichtbar zu machen. Zusätzlich zum obliga­to­rischen Knopfleistenoutfit der Regentin.