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Babylonischer Gigantismus

Babylonischer Gigantismus

Der moderne Turmbau zu Babel und Murphy's Gesetz

 

 „... Systeme neigen zum Wachstum und mit dem Wachsen werden sie anmaßend ... Ein großes System, durch Aufblähung der Dimen­sionen eines kleineren Systems gewonnen, verhält sich nicht wie das kleinere ... Ein erdachtes komplexes System funktioniert nie und kann auch nicht nachträglich so zusammengeschustert werden, dass es funktioniert ... Menschen in Systemen verhalten sich nicht so, wie das System verlangt, dass sie sich verhalten sollen ...“

 (Aus Arthur Bloch, Murphy’s Gesetze in einem Band. ­­­­Gesammelte Gründe,­ warum alles schief­­­­­­geht, was schiefgehen kann!

 

Wir befinden uns im Zeitalter des Gigantismus. Alle Lebensbereiche in unserer globalisierten Welt sind davon erfasst worden. Jüngst las ich von einem „Gigantismus in der Wüste“, wo nach sieben Jahren Bauzeit eine künstliche Ferieninsel und ein darauf liegendes Super-Hotel eingeweiht wurden. 2000 Promis aus aller Welt waren geladen, um unter ­­dem größten Feuerwerk - selbstverständlich aller Zeiten­­­ -­ 1,7 Tonnen Hum­mer, 4000 Austern, 50 Kilogramm Gänseleber usw. usw. zu verspeisen. Ach, was habe ich Bobbele beneidet, der als unsere jüngste lebende Legende unter den Augen der gastgebenden Scheichs über den roten Teppich flaniert sein soll, pikanterweise in Anwesenheit seiner ebenfalls geladenen Ex-Verlobten Sandy. „Atlantis“ heißt das Hotel, in dem dieser Event stattfand.

„Atlantis“, durchzuckte es mich, war das nicht das mythische Inselreich, das der Sage nach vor über zehntausend Jahren innerhalb eines einzigen Tages untergegangen war? Was ist, wenn dieses neue „Atlantis“ ebenfalls ... ? Nicht auszudenken!

Nicht auszudenken? Ich räsonierte weiter und kam zu dem beunruhigenden Schluss, dass Gigantismus eine Fehlentwicklung der Schöpfung sein musste. Deshalb hatte es die kolossale Spezies der Saurier auch nicht geschafft, sich in unsere Zeit zu retten, abgesehen von einigen Museumsstücken. Es scheint, als ob die Natur ihre eigene Maßlosigkeit selbst korrigiert. Vielleicht wird der moderne Homo sapiens mit seinem Hang zur Gigantomanie eines Tages ebenfalls als Ausstellungsstück enden. Dabei fällt mir der Turmbau zu Babel und, um den Schlenker in unsere Zeit zu bekommen, die weltweite Finanzkrise ein. Die Folgen für die Weltwirtschaft und die Reaktionen der Politiker sind, um beim Thema zu bleiben, ebenfalls gigantisch. Allein die von unserer Regentin initiierten Banken- und sonstigen Rettungsschirme von mehreren hundert Milliarden Euro sprengen jede Vorstellung. Wenige Jahre zuvor hatte sie uns bereits die größte Steuererhöhung in der Geschichte unseres demokratischen Staatswesens aufgebürdet, welche den Bürgern Jahr für Jahr immense Kaufkraft entzieht. Wird diese Hemmungslosigkeit gutgehen?

Neuerdings sind vermehrt kritische Stimmen gegen die Maßlosigkeit zu hören. So hat beispielsweise ein IOC-Mitglied vor dem ausufernden Gigantismus der Olympischen Spiele gewarnt. Erinnern wir uns, die Spiele in Peking waren exorbitant. Leider war es mir nicht vergönnt, das monumentale Spektakel der Eröffnungsfeier am Bildschirm zu verfolgen. Ich leide noch heute an den Entzugserscheinungen, die mir mein TV-Kabelanbieter just an diesem Tag zugemutet hatte. Damit bin ich bei meinem eigentlichen Thema gelandet.

So ganz nach Murphys Gesetz, wonach alles schiefgeht, was schiefgehen kann,­­ hatten wir mehrere Tage keinen Fernsehempfang. Nun, der Störungsdienst meines Versorgers würde das schon richten, meinte ich.

Doch: Nichts ist so leicht, wie es aussieht (erste Folgerung aus Murphys Gesetz). Ich brachte über die Website „www.tele­columbus.de“ eine Störungsmeldung auf den Weg und hörte von meinen Nachbarn, dass sie bereits über die kostenpflichtige Hotline 01805-... (14 ct/Min) mit dem Tele­columbus-Kunden­service Kontakt aufgenom­men hatten, ohne auch nur eine Spur hilfreicher Informationen zu erhalten. Ungeduldig warteten wir darauf, dass die Störung beseitigt würde.

Aber: Alles dauert länger, als man glaubt (zweite Folgerung aus Murphys Gesetz). Nach etwa zwei Tagen war der Defekt dann endlich behoben. Ich wunderte mich etwas, als man mir danach noch per E-Mail mitteilte, meine Störungsmeldung erhalten zu haben und dass diese unverzüglich zur Behebung weitergeleitet würde. Ich genoss wieder den - allerdings zeitweise gestörten - Fernsehempfang und hielt mich an Murphys Philosophie: Lächle ....... morgen wird es noch schlimmer.

Wenige Tage später kündigte mir ein Schreiben des Kabelanbieters an, den Preis für den Kabelanschluss wegen des verbesserten Leistungsangebots anpassen zu müssen. Jetzt könnte ich nämlich auch digitales Fernsehen und Radio empfangen - in absoluter Spitzenqualität und mit einer noch größeren Programmvielfalt. Das wollte ich genauer wissen und loggte mich in die bereits erwähnte Website des Anbieters ein. Nachdem ich meine Adresse eingegeben hatte, erfuhr ich, dass für meinen Wohnort keine Telecolumbus-Produkte verfügbar seien. Wieso? ... warum? ... weshalb? ... und wozu dann die um über 25 % höhe­ren Gebühren?

Ich hatte schon den Telefonhörer in der Hand und wollte über die teure Hotline nachfragen. Da erinnerte ich mich, dass bereits meine Nachbarn vergeblich versucht hatten, dort sachkundige Ansprechpartner zu finden. Deshalb machte ich lieber die inzwischen berühmten „Nägel mit Köpfen“, widersprach der Preis­erhöhung und kündigte den Kabelanschluss fristgerecht per Einschreiben zum Jahresende. Der­ technische Fortschritt in unserem Land machte es leicht, sich von diesem Medium zu trennen. Denn wir können digitales Fernsehen mit 24 Programmen in exzellenter Qualität auch über eine kleine Außenantenne empfangen, kostenlos.

Damit sei die Angelegenheit erledigt, meinte ich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich besagter Kabelanbieter, also das System „Telecolumbus“, anders verhalten sollte, als es von sich in seiner webpublizierten „Mission“ behauptet (sog. operationaler Trugschluss nach Murphy). Diese Erleuchtung kam, als ich trotz meines Widerspruchs eine Rech­nung über die angekündigte Preisanpassung für das letzte Quartal des Jahres erhielt. Murphys Gesetz hatte wieder voll zugeschlagen. Ich sollte mich vielleicht etwas näher mit diesem Unternehmen befassen, dachte ich. Wahrscheinlich war es auch schon vom Virus der Gigantomanie und dem Hang zu kundenfernen Callcentern befallen. Alle Indizien wiesen auf solches hin. Bei meinen bisherigen Telefonanbietern konnte ich im Laufe der Jahre nämlich diesbezügliche Negativerfahrungen zur Genüge sammeln.

Der Umstand, dass unser Versorger die zahlreichen nachbarschaftlichen Kündigungsschreiben und Telefonate ignorierte und selbst ergänzende Anfragen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen erst nach Wochen beantwortete und erklärt haben soll, dass solche Einschreiben mit Rückschein nicht eingegangen seien, ließ Schlimmes ahnen. War die Deutsche Post inzwischen so unzuverlässig geworden? Ich suchte Rat bei Google. Meine Verwirrung war babylonisch, als ich las, mit welchen Organisationen die Tele Columbus Gruppe liiert sein soll. Fehlte nur noch die Beteiligung einer sog. „Heu­schrecke“. Flugs teilte ich meine Erkenntnisse meinen Nachbarn mit, die sich danach kopfschüttelnd meinem Frust anschlossen.

Bei weiteren Recherchen gewann ich dann den Eindruck, dass zwischen den Einzelsystemen der Tele Columbus Gruppe der funktionale Zusammenhang ziemlich gestört sein musste. Dergleichen wäre vermutlich zu vermeiden gewesen, wenn Murphys Gedanken die Geschäftsphilosophie und das Qualitätsmanagement des Unternehmens stärker beeinflusst hätten. Die Sammlung enthält jedenfalls auch hierzu einschlägige Erkenntnisse: In einer bürokratischen Hierarchie würdigen, je höher ihr Rang in der Organisation ist, immer weniger Menschen Murpyhs Gesetze ... usw.

Zunächst einmal bemühte ich mich um einen kompetenten Ansprechpartner, also einen Mitarbeiter außerhalb der Hotline und mit Namen und Gesicht. Informationen über das Management erhielt ich aus der Website und konnte darüber hinaus noch mehr über die „Mission“ des Unternehmens erfahren. Die darin aufgeführten Organisationsziele waren selbst für mich hinreichend intelligentes Wesen nur schwer verständlich, ja mehr oder weniger nebulös. Gleichwohl möchte ich eines herausgreifen, weil es ganz auf Murphys Linie liegt: „Die Integration kleinteiliger Branchenstrukturen zu leistungsstarken Einheiten schafft die Voraussetzung für Innovation und einen lebendigen Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt“. Es verkörpert in idealer Weise „das verallgemeinerte Unsicherheitsprinzip“ nach Murphy: Systeme neigen zum Wachstum und mit dem Wachstum werden sie anmaßend.

Leider habe ich nicht die Zeit, diesen systemkritischen Ansatz im Lichte von Murphys Gesetz (Sie erinnern sich: Wenn etwas schiefgehen kann, dann ...) näher zu beleuchten. Da ich mich noch nicht für einen der leitenden Herren entscheiden konnte, sandte ich zunächst eine problembezogene E-Mail an den Pressesprecher des Unternehmens. Prompt erhielt ich eine automatisierte Eingangsbestätigung. Immerhin eine Reaktion, dachte ich.

Zwei Wochen später wagte ich ein Telefonat und hatte tatsächlich den amtierenden Pressesprecher am anderen Ende der Leitung. Er war sehr freundlich und versprach, sich persönlich um meine Angelegenheit zu kümmern. Und tatsächlich: Nach weiteren zwei Wochen und nach einer nochmaligen Sach­standsnachfrage erhielt ich von einem der Telecolumbus-Systemteile aus Erkrath (Nordrhein-Westfalen) ein Schreiben, in dem die Kündigung zum Jahresende bestätigt und die Preisanpassung zurückgenommen wurde. Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich mich in meinen Sessel sinken. Meine Frau klopfte mir anerkennend auf die Schulter und verkündete die erfreuliche Botschaft den Nachbarn, die nun auch wieder Hoffnung schöpften. Jetzt, sagte ich mir, ist die Angelegenheit endgültig vom Tisch. Schließlich waren die Nutzungsgebühren für das gesamte Jahr bereits bezahlt.

Fatalerweise hatte ich Murphys Folgerung Nr. 7 nicht berücksichtigt: Jede Lösung bringt neue Probleme. Nach einer weiteren Woche flatterte wieder ein Schreiben des Unternehmens ins Haus (diesmal vom Gruppenmitglied in Berlin), das sich als Rechnung über das Nutzungsentgelt für das vierte Quartal entpuppte (Sie erinnern sich: das bereits zu Jahresbeginn bezahlte). Gleichzeitig wurde der Betrag von meinem Konto abgebucht. Sollte sich bei der Telecolumbus-Gruppe etwa Murphys 8. Folgerung eingenistet haben?: Es ist unmöglich, etwas ganz sicher zu machen, denn Dummköpfe sind zu erfinderisch.

Jetzt war es an der Zeit, dem Management etwas ins Stammbuch zu schreiben. Google sei Dank, dass ich nach kurzer Zeit auf der persönlichen Website eines verantwortlichen Geschäftsführers­­ des Unternehmens landete. Freundlich er­­mun­terte er mich, mit seinem Namen zu „googlen“ und zu schauen, welche Informationen noch über seine Person im Netz vorhanden sind. Dies tat ich ausgiebig und war dann sicher, endlich den richtigen Ansprechpartner für mein Problem gefunden zu haben. Wenn jemand kompetent ist, dann auf jeden Fall ein Managementmitglied, das in einem TV-Interview von „brillierendem Service“ des Unternehmens gesprochen hatte. Auch war nicht anzunehmen, dass das Peterprinzip1 bereits in die Führungsetage des betreffenden Systems vorgedrungen war und man dort nach Peters Folgerung2 agierte. Es besteht nämlich ein signifikanter Zusammenhang zwischen Murphys Gesetz und Peters Prinzipien.

Und tatsächlich, auf meine E-Mail bekam ich unverzüglich und mit burschikos-fröhlichem „Hallo“ die Nachricht, dass er recherchieren und dann meine Fragen umfassend beantworten werde. Ich sollte ihm nur bis Montag Zeit lassen, meinte er. Brillanter Managerservice, dachte ich.

Da aber Montag um Montag ohne die versprochene Klärung verstrich, meldete ich mich vier Wochen später wieder bei ihm. Schon am nächsten Tag erhielt ich einige der gewünschten Auskünfte und die Bestätigung, dass mein Konto bis zum Jahresende ausgeglichen sei. Das freundlich gemeinte Angebot, mit einem Warengutschein meinen Ärger etwas zu mildern, mochte ich allerdings nicht annehmen. Schließlich war ich nur noch etwa drei Wochen Telecolumbus-Kunde und wollte mich keinen weiteren Überraschungen mehr aussetzen.

Ich hatte die Antwort meines neuen Briefpartners gerade ausgedruckt, als wieder ein Schreiben eines Telecolumbus-Systemsteils aus Berlin einging. „Letzte Mahnung“ hieß es. Wenn ich nicht binnen zweier Wochen den Entgeltrückstand in Höhe von 15,99 Euro gezahlt hätte, würde das gerichtliche Mahnverfahren eingeleitet werden. Sollte ich lachen oder weinen? Jetzt war kaum mehr daran zu zweifeln, dass Murphys Folgerung Nr. 8 (siehe   oben) Einzug in das Unternehmenssystem der Tele Columbus Gruppe gehalten haben musste. Auch einige meiner Nachbarn hatten inzwischen Zahlungsaufforderungen bekommen, als ob es nie fristgerechte Widersprüche und Vertragskündigungen gegeben hätte.

Ebenfalls­ mit fröhlich-burschikosem „Hallo“ informierte ich meinen netten Mailpartner auch über diesen Umstand und konnte mir nicht verkneifen, aus Murpyhs Gesetzbuch und Peters Prinzipiensammlung zu zitieren. Postwendend bestätigte er mir nochmals, dass seitens seines Unternehmens keinerlei Forderungen mir gegenüber bestünden.

Ich bin jetzt zuversichtlich, dass sich diese Wahrheit bald bis in den letzten Winkel des Telecolumbus-Systems verbreitet haben wird und ich keine weiteren Mahnungen mehr erhalten werde.

Mein Optimismus wird allerdings durch eine Zeitungsnotiz über den zunehmenden Datenklau gedämpft, wonach „auf umkämpften Massenmärkten wie Telekommunikation, Energieversorgung oder Kabelfernsehen viele Anbieter fast nur noch mit externen Dienstleistern und Callcentern zusammenarbeiten“. Eine Folge der „Geiz-ist-geil-Mentalität“ in unserer Gesellschaft, dem ungezügelten Expansionsstreben von Unternehmen und ihrer Zeugung von Tochterfirmen aller Art. Auch insofern ist ein babylonischer Gigantismus prägendes Zeichen unserer Zeit. Ich bin aber guter Hoffnung, dass wir diese Fehlentwicklung eines Tages überstanden haben werden. Wie den Turmbau zu Babel. Denn in Murphys gesetzlicher Sammlung steht: Komplexe Systeme neigen dazu, ihre eigene Funktion zu behindern.

Unsere Banken, insbesondere die mit zig Milliarden Geldern der Steuerzahler gemästeten und unter den Augen verantwortlicher Politiker aufgeblähten staatlichen Landesbanken, haben bereits begonnen, wieder kleine Brötchen zu backen, die sie allerdings noch teuer verkaufen. Es scheint aber der Beginn einer neuen Epoche zu sein, in welcher auch Callcenter überflüssig werden und „Kundenservice“ wieder echter „Kundendienst“­ wird, geleistet von kompetenten und motivierten Menschen. So, wie es seit jeher in kleineren und überschaubaren Unternehmen der Regelfall ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

1 Peterprinzip: In einer Hierarchie neigt jeder Mitarbeiter dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.

 

2 Peters Folgerung: Es besteht die Tendenz, dass nach einer gewissen Zeit jeder Posten in einer Hierarchie von einem Mitarbeiter eingenommen wird, der unfähig ist, seine Aufgaben zu erfüllen