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Gratisverlosung

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Über die Glück bringende Torheit

 

 

Eine besondere Art gewinnbringender Werbeaktionen sind zweifellos jene psychologisch ausgeklügelten Kampagnen, die mit ihren Gratisver­losun­gen bereits an Volks­ver­dummung gren­zen. Ihr Ziel ist, die „ausgewählten“­ Kandidaten zum Erwerb bestimmter Produkte zu verführen, die ihnen zur Glückseligkeit bislang gefehlt haben.

 
Eigentlich gehöre ich zu den eher nüchternen Zeitgenossen, die nicht an den großen Lottogewinn glauben. Auch wenn ich stets mittwoch- und samstagabends der Ziehung der Glückszahlen entgegenfiebere, so ist dies keinesfalls ein Zeichen von Schwäche, sondern reine Gefälligkeit meiner Frau gegenüber. Sie ist es nämlich, die regelmäßig ihren Lottoschein abgibt, mit immer denselben Zahlen, versteht sich. Es gehört schon eine beachtliche Portion Mut dazu, aus der Reihe   1-4-5-7-12-16, die sich aus den Geburtsdaten unserer drei Enkel ergibt, auf einen großen Treffer zu schließen, zumal bei dieser Konstellation nur ein Drittel der Spannbreite möglicher Gewinnzahlen abgedeckt ist. Aber: „Fortes fortuna adjuvat – Dem Mutigen hilft das Glück.“ Eines Tages, vielleicht. Immerhin sind wir schon mit einigen Dreiern beglückt worden.

Als mir neulich von meinem Bonus-Club, einer namhaften Verbraucher-Service GmbH (man beachte: „Mit beschränkter Haftung“) ein sehr persönlich gehaltener Brief ins Haus flatterte, war es allerdings um meine Nüchternheit geschehen. Ein Computer habe mich aus zahlreichen Personen ausgewählt, ja auserwählt, einen V.I.P. – Status als treues Mitglied des besagten Clubs zu erhalten. Die mir schriftlich in Aussicht gestellten Gewinnmöglichkeiten beliefen sich immerhin auf einen Gesamtwert von 790.000 €. Diese Summe fällt im Vergleich zu einem Lotto-Jackpot von mehreren Millionen zwar kaum ins Gewicht, aber angesichts meiner Eigenschaft als V.I.P. („very important person“) versprach ich mir mindestens die gleichen Chancen wie bei einem Lottodreier mit den Enkelglückszahlen meiner Frau. Nur eben mit einer ansehnlichen Gewinnsumme oder einem „tollen Auto“, wie zu lesen war. Mein Optimismus war grenzenlos angesichts der Information, nur sechs Prozent aller Haushalte hätten bei dieser Gratisverlosung eines bekannten süddeutschen Verlages ein so herausragendes Prädikat erhalten.

Es läge jetzt nur noch an mir, was ich aus den gebotenen Möglichkeiten machte. In den nächsten Tagen würde ich meine Teilnahmeunterlagen erhalten. Ich sollte unbedingt auf ein weißes Kuvert mit einem  orangefarbenen Aufkleber achten. Das wollte ich, denn ich war jetzt fest entschlossen, an der Superverlosung teilzu­nehmen.

Ich verschloss das Ankündigungsschreiben in meinem Schreibtisch, um meine Absicht vor meiner Frau zu verbergen. Sie sollte keine Gelegenheit bekommen, mich wegen der Abkehr von meinen Grundsätzen zu verspotten. Was sie wohl für Augen machen wird, wenn ich ihr den Hauptgewinn von 500.000 € unter die Nase reibe? Flugs vereinbarte ich mit meiner Bank einen Termin, um mich zwischenzeitlich über Anlagemöglichkeiten beraten zu lassen. Ich wollte nichts dem Zufall  überlassen. Meine innere Stimme ignorierte ich, weil ich ihre zweifelnde, ja ausge­sprochen pessimistische Haltung nicht teilen wollte.

Nach drei Tagen vergeblichen Wartens finde ich endlich den ersehnten Umschlag im Briefkasten. Mein erster flüchtiger Blick erhascht die Nachricht, dass er wichtige persönliche Unterlagen enthält. Der angekündigte orangefarbene Aufkleber bestätigt mit der Unterschrift eines Dr. Hans Sowieso, dass mir garantiert fünf gültige Teilnahme-Nummern zugeteilt worden sind. Deshalb solle ich unbedingt fristgerecht antworten, am besten gleich. Ich erfahre, dass nur V.I.P.- Auserwählte fünf solche Nummern bekommen. Der gewöhnliche Verlosungsteilnehmer würde nur eine erhalten. Mit zitternden Händen entnehme ich dem Briefumschlag meine Glücksdokumente. Neben drei Teilnahmeschecks mit dem Hauptgewinn von 500.000 € und zwei kleineren Gewinnen habe ich auch einen Einladungsscheck empfangen, mit dem ich, die „V(ery) I(mportant) P(erson)“, ein Ansichtsexemplar eines Weltatlanten für vier Wochen kostenlos zum Kennenlernen anfordern kann.

‚Siehst du’, meldet sich erneut mein innerer Pessimist, ‚die wollen dir nur etwas verkaufen. Du fällst immer wieder darauf herein.’ Das hätte auch meine Frau sagen können, die glücklicherweise außer Haus ist.

„Quatsch!“, weise ich den Plagegeist    energisch zurecht. „Diesmal ist alles anders. Beim letzten Weltatlas war ich noch nicht V.I.P. Außerdem gibt es als tolle  Überraschung einen Uhren-Rechner gratis dazu.“ Den sollte ich am besten gleich heute anfordern, erfahre ich aus dem Prospekt. Wie ich weiter unterrichtet werde, ist bei der Gratisverlosung jenes Verlages alles gratis. Und wenn es gratis heißt, sei gratis auch gemeint – im Unterschied etwa zu Lotterien (oder zum Lotto meiner Frau): Es gäbe keine Teilnahmegebühr, kein Aufsuchen einer Annahmestelle. Ferner werde kein Gewinn zurückbehalten, alle Gewinne würden garantiert vergeben.

Von den fünf angekündigten Teilnahme-Num­mern finde ich zunächst nur vier. Sie tragen den Vergabe-Code „RWT-410-244-VC“. Sofort und ohne besondere geistige Anstrengung klebe ich sie auf die drei Teilnahmeschecks und auf den Scheck für den Kennenlern-Weltatlas. Jetzt fällt mir eine Art Autoschlüssel in die Hand. Er trägt die Nummer „MT 14“. Mit ihm könne ich zwei tolle Autos gewinnen, wenn ich ihn im vorbereiteten Antwortkuvert zurückschicke. Doch welches Kuvert soll ich nehmen? Es gibt ein „offizielles Ja-Ant­wortkuvert“ (in sympathischen Farben gehalten) und ein „offizielles Nein-Antwort­kuvert“ (in scheußlichem Grau). Es ist klar, dass ich sofort nach dem sympathischen farbigen Umschlag greife und die dort aufgebrachten Rubbelfelder freirubbele. Als ich entdecke, dass zwei Mal die „MT 14“ erscheint, bin ich in meinem Element. Unverzüglich stecke ich den Autoschlüssel in ein vorbereitetes Täschchen im Sympathieumschlag. Alles ist spannend wie eine Schatzsuche, die ich gerne für meine Enkel organisiere. Nur viel ernster. Wegen der großen Gewinne.

„Du wirst doch nicht schon wieder ein Buch bestellen“, höre ich plötzlich die Stimme meiner Frau hinter mir. Sie muss sich regelrecht ins Haus geschlichen haben. Ihre Hand greift nach dem Prospekt mit dem Weltatlas, zum supergünstigen Preis von € 19,90 inkl. MwSt.

„Ausgerechnet ein Atlas“, tadelt sie mich, „als ob wir nicht schon drei hätten.“

„Aber der ist DAS BESTE, was dieser Verlag derzeit zu bieten hat“, erwidere ich angesichts meiner zahlreichen Gratisverlosungsbestellungen in den vergangenen Jahren etwas kleinlaut. „Außerdem habe ich jetzt einen V.I.P.-Status, wenn du weißt, was das bedeutet. Den haben nur sechs Prozent der ausgewählten Personen erhalten. Im Übrigen …“

„Im Übrigen … im Übrigen …“ unterbricht mich meine angetraute  Ehefrau. „Glaubst du etwa an derlei Werbeversprechungen? Dann bist du schon sehr naiv und …“

„Bin ich naiv, wenn ich über die Veränderungen auf unserem Globus immer auf dem neuesten Stand in unserer globalisierten Welt sein will“,  stoppe ich trotzig ihren Wortschwall.

„Ach, mach was du willst. Aber ich fresse einen Besen, wenn du irgendetwas gewinnst“, beendet meine Frau den Dialog. „Die Dummen sterben eben nie aus. Deshalb auch solche Kampagnen. Torheit rechnet sich nämlich“, zischt sie mir noch zu und rauscht hoch erhobenen Hauptes aus dem Zimmer.

Mein Blick auf die drei Atlanten in meinem Bücherschrank macht mich wieder mutlos. Doch dann entdecke ich, dass ich auf das Weltatlas­angebot verzichten kann, ohne meine Gewinn­chancen zu schmälern. Ich muss nur den scheuß­lichen grauen Umschlag verwenden. Als ich ihn öffne, springt mir ein roter Zettel ins Auge. Er macht mir noch einmal deutlich, dass mir etwas entgehen wird, wenn ich den Superatlas nicht kennen lerne. Ich werde noch einmal darauf hingewiesen, welche Vorteile ich als ausgewähl­tes Clubmitglied habe und was …

Ich bin schon dabei, wieder nach dem bunten Ja-Umschlag zu greifen, als es in mir tönt: ‚Du brauchst keinen vierten Atlas. Außerdem besitzt du noch einen Weltatlas auf einer CD-ROM, die du erst vorigen Monat gekauft hast.‘

Damit ist die Angelegenheit entschieden. Schweren Herzens tüte ich alle gewinnbringenden Unterlagen in den unansehnlichen Nein-Umschlag ein und entdecke ganz nebenbei einen weiterenTeilnahmescheck über 40.000 € als Jubiläums-Bonus. Den habe ich im Eifer der Auseinandersetzung mit meiner Frau doch glatt übersehen. Der Glücksbringerverlag meint es wirklich gut mit mir. Ich vergewissere mich noch einmal, dass ich alle Sticker richtig aufgeklebt habe und erwische mich dabei, wie ich beinahe den Einladungsscheck mit der Atlasanforderung doch noch in den grauen Umschlag gesteckt hätte, in dem er wirklich nichts zu suchen hat.

‚Und du glaubst tatsächlich an einen Erfolg?’, macht sich meine innere Nervensäge wieder bemerkbar. ‚Der graue Umschlag ist doch von vorn­herein für den Papierkorb …’

Ich verschließe unverdrossen das Kuvert und klebe noch eine besondere Porto-Freimarke darauf, welche der an alles denkende und mir wohl gesonnene Weltatlasverlag freundlicherweise beigefügt hat. Dann stecke ich meine Gratisverlosungsantwort mutig und voller Vorfreude in den nächsten Postkasten. Zu guter Letzt kaufe ich einen Besen aus Schokolade für meine Frau. Den werden wir uns gemeinsam schmecken lassen. Ich bin schließlich nicht nachtragend und gerne bereit, meinen Gewinn mit ihr zu teilen.

Es fällt mir schwer, auf den Gratis-Uhren-Rechner ­verzichten zu müssen. Er würde gut in meine Sammlung passen. Denn zwei gleiche Apparate habe ich bereits bei anderen Gelegenheiten gratis ergattert.